Brüssel 15.–17. 9. 2006
Ein Bericht von Katharina Schöne
Eigentlich war es mein Plan gewesen mich an diesem Septemberwochenende einer Reisegruppe zu einer geführten Tour zu den Schlachtfeldern von Waterloo anzuschließen. Aber wie es manchmal so ist, kommt alles anders und die Veranstaltung wurde abgesagt. Da ich mein Zugticket nach Brüssel bereits gekauft hatte, entschloss ich mich übers Wochenende trotzdem dorthin zu fahren. Von Frankfurt aus (ich bin Exilsachse in Hessen) gibt es eine direkte Verbindung mit dem ICE und in 3,5 Stunden kommt man gut und schnell ans Ziel. Endstation in Brüssel ist der Gare du Midi, ein großer moderner Bahnhof, in dem ich mich erst mal orientieren musste, da er ganz anders angelegt war als die gewohnten Kopfbahnhöfe wie Frankfurt, Leipzig oder Dresden. Erst einmal aus dem Bahnhof heraus gelangt, war der erste Eindruck von Brüssel nicht unbedingt der beste: herumliegender Müll, ein unangenehmer Geruch, alles ein bisschen schmuddelig.
Auch wenn ich für die zwei Tage nur „leichtes“ Gepäck dabei hatte, wurde meine Tasche doch mit jedem Schritt schwerer, so dass ich zuerst mein Hotel in Nähe des Bahnhofs ansteuerte (die Gegend wurde nicht wirklich besser – das haben wohl alle Bahnhofsviertel so an sich). Ich hatte Glück und konnte schon vor dem üblichen Check-in mein Zimmer beziehen. Hotels in Brüssel sind generell sehr teuer. Ich hatte übers Internet im Hotel Van Belle gebucht, einem der günstigeren Hotels für immerhin noch EUR 50,00 pro Nacht. Es war als 3-Sterne Hotel angegeben, aber es gibt wohl doch gewisse Unterschiede zwischen einem 3-Sterne-Hotel in Deutschland und in Belgien. Mein Zimmer war sauber und ordentlich, aber doch recht winzig, ausgestattet mit einem Bett, Schrank, einer Ablage/Schreibfläche vor dem Fenster, die auch als Tisch dienen musste, einem Stuhl und Bad auf engstem Raum. Der Einrichtung sah man an, dass sie schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Alles war nicht mehr ganz zeitgemäß und schon etwas „abgewohnt“. Sonst aber in Ordnung.
Nach Bezug des Zimmers machte ich mich auf zu einer ersten Erkundung der Stadt. Meine erste Station führte mich noch einmal vorbei am Bahnhof zur „Porte de Hal“, dem alten Stadttor. Es ist als einziges von der alten Stadtbefestigung erhalten und in Form eines kleinen Schlösschens gestaltet. Bis 1975 hat es die Waffensammlung des Museums für Kunst und Geschichte beherbergt und wird heute für Zeitausstellungen genutzt. Über mehrere Stockwerke führt eine steinerne Wendeltreppe nach oben. Diese dreht sich um einen offenen Mittelpunkt mit eisernem Geländer und Statuen. Ein hübscher Blickfang. Ganz oben führt ein Wehrgang um das Gebäude herum. Es ist Vorsicht geboten, da der Boden des Wehrganges uneben mit Metall verkleidet wurde und etliche Stolperfallen aufweist. Durch offene Schießscharten kann man einen Blick nach unten werfen.
Anschließend ging es weiter zum „Palais de Justice“, dem Justizpalast, einem riesigen Gebäude, das über der Stadt zu thronen scheint (Grundfläche von 26.000 m², 97 m hoch). Irrtümlicherweise hatte ich angenommen, dass es eine öffentliche Aussichtsplattform in der Kuppel gäbe und bin auf der Suche nach dem Aufgang einige Zeit im Inneren des Gebäudes umhergeirrt (als öffentliches Gebäude ist es wochentags von 8-17 Uhr geöffnet). Man kann dort interessante Streifzüge durch endlos lange Korridore, vorbei an unzähligen riesigen Türen, über Treppen und Galerien unternehmen. Glücklicherweise waren überall Wegweiser angebracht, wie man wieder zum Ausgang findet. Ein wirklich gigantisches, wuchtiges Bauwerk, das nicht umsonst den Spitznamen „Mammut“ trägt.
Vom Justizpalast ging es entlang der Rue de la Regence in Richtung Place Royal. Am Weg lag ein kleiner französischer Garten (Place du Petit Sablon). Eine hübsche kleine grüne Oase um einen Springbrunnen herum angelegt. Gesäumt wird die Anlage von 48 Bronzestatuen, die die Zünfte des 16. Jahrhunderts darstellen. Gegenüber eine der vielen Kirchen der Stadt: Notre-Dame-du-Sablon. Eine gotische Kirche mit prächtigen Buntglasfenstern.
Der heutige Place Royal wurde Ende des 18. Jahrhunderts auf den Ruinen des Palastes von Karl V angelegt. Dieser war 1731 bei einem Feuer nahezu komplett zerstört worden. Etwa 40 Jahre später wurden Die Ruinen abgerissen, Boden wurde aufgeschüttet um den Platz neu zu gestalten. Die neu errichteten Gebäude beherbergen heute diverse Kunstmuseen. Bei Ausgrabungen Ende der 90er Jahre wurden unter dem heutigen Musée Bellevue Teile des alten Palastes, der Kapelle und angrenzender Gebäude freigelegt. Ein Besuch lohnt sich. Der Eintrittspreis von 4 Euro beinhaltet eine sehr ausführliche und anschaulich gestaltete Broschüre mit deren Hilfe man die freigelegten Anlagen erkunden kann und die eine gute Vorstellung vermittelt, wie es früher einmal aussah. Das Musée Bellevue befindet sich in einem Seitenflügel des Palais Royal, das seit 1820 Sitz der königlichen Familie ist. Besichtigungen sind nur im Sommer (Mitte Juli bis Mitte September) möglich, so dass ich mich mit einem Blick von außen begnügen musste.
Nur 5 Minuten von meinem Hotel entfernt, befand sich die Brauerei Cantillon, die letzte noch aktive rein handwerkliche Brauerei Brüssels. Es bot sich also an, den Sonnabend mit einem „Frühschoppen“ dort zu beginnen. Der Familienbetrieb existiert seit über 100 Jahren und stellt bis heute das Bier „Lambic“ nach traditioneller Herstellungsmethode, der spontanen Fermentierung ohne zugesetzter Hefe, her. Die Ausstattung stammt noch aus dem vorigen Jahrhundert und der Rundgang führt vom Brausaal über Getreidespeicher und Bierfasslagerraum bis zum Abfüllraum und Flaschenkeller. Gruppenführungen können auf Voranmeldung in Französisch, Englisch und Niederländisch organisiert werden. Für individuelle Besuche steht Infomaterial für die Rundgänge zur Verfügung, überraschenderweise sogar auf Deutsch! Am Ende des Rundganges werden zwei Biersorten zur Verkostung angeboten (im Eintritt enthalten). Das Lambic gärt 3 Jahre in Holzfässern und hat einen leicht sauren Geschmack und Nachgeschmack, der sich von deutschem Bier sehr unterscheidet. Gewöhnungsbedürftig, aber nach ein paar Schlucken gar nicht mal so schlecht. Ebenfalls ungewöhnlich sind die „Obstbiere“. Dafür werden dem Lambic während der Gärung z.B. Himbeeren oder Kirschen beigemischt. Das Ergebnis ist ein Getränk, das wie Brause aussieht, allerdings immer noch den leicht sauren Lambicgeschmack, verfeinert durch das jeweilige Aroma, aufweist. Sehr gewöhnungsbedürftig.
Von der Brauerei ging es vorbei an einigen „Comicfassaden“ zur Halles Saint-Géry. Brüssel ist die Stadt, in der der Comic erfunden wurde. Überall in der Stadt findet man Häuserfassaden, die mit Comicfiguren wie z.B. Lucky Luke bemalt sind. Die Halles Saint-Géry waren früher ein überdachter Markt (1881). Von außen ein Gebäude aus rotem Backstein, herrscht im Inneren eine Glas-Eisen-Konstruktion vor. Heute beherbergt die einstige Markthalle ein Café und eine Ausstellung zur Geschichte und Entwicklung Brüssels (kein Eintritt, aber alles auf Französisch).
Von der Halles Saint-Géry gelangt man vorbei an der Börse zum Grand Place, einer der Hauptattraktionen in Brüssel. Der Platz vor dem Rathaus wird von herrlich kunstvollen Gebäuden verschiedener Stilrichtungen gesäumt. Besonders auffallend sind das Rathaus und das Musée de la Ville im gotischen Stil. Der Platz scheint immer voller Leben zu sein. Einheimische wie Touristen bevölkern die vielen Cafés. An diesem Septemberwochenende fand eine Art Volksfest statt, das für zusätzlichen Trubel sorgte. In regelmäßigen Abständen formierten sich Musikkapellen oder andere Vereine im Innenhof des Rathauses, um dann mit ihrem Unterhaltungsprogramm eine Runde über den Platz zu drehen. Besonders amüsant war eine Gruppe, bei der es sich dem Anschein nach um einen Karnevalsverein handelte. Vorneweg lief ein Mann, der auf einer Sackkarre eine Nachbildung des Manneken-Pis vor sich her schob. Im Podest der kleinen Statue war wohl ein Wasserbehälter mit Pumpe installiert. Er machte sich einen Spaß daraus, die Schaulustigen zu jagen und vom Manneken-Pis „anpieseln“ zu lassen. Viele dieser Prozessionen führten natürlich auch zum echten Manneken-Pis an der Ecke Rue de l’Etuve und Rue du Chêne, dem wohl bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. An diesem Tag trug es eines seiner 654 Kostüme.
In der Nähe der Grand Place befinden sich die Galeries Royales Saint-Hubert, eine sehr großzügig gestaltete luxuriöse Einkaufspassage mit schicken Boutiquen und Cafés. Hier findet man auch die Chocolaterie Neuhaus, des Erfinders der belgischen Pralinen. Eben noch in der weitläufigen Einkaufspassage im Neo-Renaissance-Stil tritt man heraus in die engen mittelalterlichen Gassen des Viertels Îlot-Sacré. Die kopfsteingepflasterten Gassen sind absolut nichts für Stöckelschuhe. Viele von ihnen sind von Restaurants (hauptsächlich sind Fisch und Meeresfrüchte im Angebot) gesäumt, die ihre Tische bis zur Mitte der ohnehin schmalen Straße aufgebaut haben, so dass oft nur ein 1 m breiter Pfad in der Mitte bleibt, um sich durchzuschlängeln und man den Leuten auf die Teller gucken kann.
Der ehemalige botanische Garten ist heute ein frankophones Kulturzentrum, wo auch Konzerte und Ausstellungen stattfinden. Der kleine Park ist hübsch angelegt und lädt zum Ausruhen ein. Hinter den gläsernen Gewächshäusern und dem Park mit seinen Statuen ragen moderne Hochhäuser auf. Ein Stück nördlich des Jardin Botanique, als Blickpunkt am Ende der Rue Royale, befindet sich die Kirche Saint Marie. Durch die goldenen Sterne auf ihrer Kuppel ist sie im Stadtbild weithin sichtbar.
Am Sonntag war ein autofreier Tag und auch Tag des offenen Denkmals. Fußgänger, Inline-Skater und Fahrradfahrer schienen die Stadt übernommen zu haben. Im Zentrum waren nur Busse, Taxen und Pferdekutschen unterwegs, außer denen sich kaum jemand um Ampelschaltungen scherte. Man musste höllisch aufpassen, um nicht Radfahrern oder Skateboardfahrern in den Weg und unter die Räder zu kommen. Ich bummelte noch ein wenig durch die Stadt und verweilte noch etwas auf dem Grand Place, wo immer noch buntes Treiben herrschte. Dann war es auch schon wieder Zeit mein Gepäck im Hotel einzusammeln und mich auf den Weg zum Bahnhof zu machen. Ich kaufte noch etwas belgische Schokolade als Mitbringsel und Proviant für die Fahrt und schon ging es wieder Richtung Frankfurt.
Das historische Stadtzentrum von Brüssel mit den Hauptsehenswürdigkeiten Grand Place, Place Royale, Manneken-Pis ist sehr gut zu Fuß zu erkunden. Alles liegt nah beieinander, so dass man an einem Wochenende eigentlich alles Wichtige ansehen kann. Wenn man allerdings die vielen Kunstmuseen oder andere Museen z. B. Comicmuseum, Schokoladenmuseum oder Spitzenmuseum besuchen möchte, sollte man etwas mehr Zeit mitbringen. Architekturfans kommen in Brüssel sicher auch auf ihre Kosten. Es gibt überall in der Stadt reizende Plätze, Straßenzüge oder versteckte Kleinode im Jugendstil, im Stil der Neo-Renaissance oder der Gotik (nicht das ich davon viel verstehen würde, aber der Reiseführer war voll von entsprechenden Hinweisen).